Veteranen des Reformschauspiels

Die Direktion für EU-Integrationen in BiH (DEI) hat im März und April dieses Jahres eine Meinungsumfrage zum EU-Beitritt Bosnien-Herzegowinas durchgeführt. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass 76% der Bürger/innen einen Beitritt in die EU befürworten. Als Begründung für ihre Unterstützung des EU-Beitritts geben die befragten Personen meistens mehr gute Arbeitsplätze und die Garantie für dauerhaften Frieden und Stabilität an. Ungefähr die gleiche Zahl (73%) der Bürger/innen glaubt, dass Reformen durchgeführt werden sollten und dass sie nicht  Voraussetzung für die EU-Integration Bosnien-Herzegowinas sind.  Das ist die Meinung der Bürger/innen, was immer das in diesem Land beuteten mag. Denn noch immer stecken wir bei den Ergebnissen der Volkszählung fest. Unglaublich, aber wahr: In einem kleinen Land mit gerade einmal 3,5 Mio. Einwohner/innen warten wir seit fast drei Jahren auf die Ergebnisse der Volkszählung. Es scheint, als sei die Zahl der Bosniaken, Kroaten und Serben noch immer wichtiger als die Zahl der Bürger/innen, so dass die Zahl der residenten und nicht-residenten konstitutiven Völker noch immer strittig ist. Für die einen ist diese Zahl maßgeblich für den Antrag zum EU-Beitritt vom 15. Februar, der doch so frenetisch als Erfolg gefeiert wurde, für die anderen nicht.

Ebenfalls wichtig ist die beschleunigte Durchsetzung der famosen Reform-Agenda, die sechs wichtige Bereiche umfasst: Öffentlicher Haushalt, Steuer- und Fiskalpolitik; Geschäftsklima und Konkurrenzfähigkeit; Arbeitsmarkt; Reform der Sozial- und Rentenversicherung; Rechtstaatlichkeit und gute Regierungsführung; und die Reform der öffentlichen Verwaltung.

Handel mit Maßnahmen

Die Reform-Agenda bedeutet folgendes: Die EU hat die Hoffnung auf eine Implementierung des Urteils im Fall „Sejdić – Finci“ aufgegeben, ebenso den Versuch, die Verfassung auszubauen. Die Proteste im Jahr 2014 waren eine großartige Gelegenheit für die Verschiebung der Reformbemühungen auf die Wirtschaft. Angeblich zum Wohle der Bürger/innen. Die Reform-Agenda, deren Bezeichnung bereits deutlich macht, dass sie nichts mit den lokalen Sprachen und dem täglichen Sprachgebrauch der Bürger/innen, die nach Bedarf vorgeschoben werden, zu tun hat, wurde 2015 verabschiedet. Seitdem wird ständig mit der Prozentzahl der durchgeführten Maßnahmen gehandelt. Die Regierung der Föderation Bosnien-Herzegowina (FBiH) hat auf ihrer Internetseite einen Aktionsplan (51 Punkte) zur Durchführung der Reformagenda in BiH für den Zeitraum 2015-2018 veröffentlicht, während die Regierung der Republika Srpska (RS) den Bericht über die Durchführung des Aktionsplans der RS zur Realisierung der Reformagenda am 08.02.2016 verabschiedet hat und daraufhin eine Erklärung abgab, dass „die Regierung der RS in 2015 von insgesamt 48 geplanten Maßnahmen 25 Maßnahmen (oder 52,1%) vollständig durchgeführt hat. Derzeit werden weitere 12 Maßnahmen, bzw. 25%, durchgeführt, und die Realisierung von acht Maßnahmen, also 16,7%, wurde auf 2016 verschoben. Nicht realisiert wurden nur drei Maßnahmen oder 6,3% … Vollständig realisiert wurden also 37 von 48 Maßnahmen, oder 77,1%, und da diesen Zahlen noch die Maßnahmen hinzugefügt werden, deren Durchführung aus „berechtigten Gründen“ in das Jahr 2016 verschoben wurde, geht man davon aus, dass bei 48 geplanten Maßnahmen die Regierung der RS an 45 Maßnahmen oder 93,8% gearbeitet hat. Betrachtet man den Zeitraum 2016-2018, arbeitet die Regierung der RS bereits aktiv an 20 Maßnahmen, mit anderen Worten, die Durchführung von 66,7% der Maßnahmen ist im Gange“. 

Hauptsache, die Daten werden in Prozent eingewickelt und viele Zahlen und berechtigte Gründe angegeben. Auf das was, wer, wie und welche Auswirkungen diese vermeintlichen Reformen haben sollen, bleiben die Antworten aus.

Wirft man einen Blick auf den Aktionsplan der Regierung der FBiH, sind die einzigen Punkte, die als erledigt abgehakt wurden, das Arbeitsgesetz, das Gesetz über den internen Gehaltszahlungsverkehr und das Gesetz über Wirtschaftsunternehmen. Der Rest?  Wahrscheinlich auch hier „berechtigte Gründe“ warum die Vorhaben mal wieder nicht umgesetzt wurden. Der Wirtschaftsminister der FBiH hat am 10. Mai in Mostar verkündet, dass 30% der Maßnahmen durchgeführt wurden und dass die Abarbeitung der Reformagenda in 50.000 neuen Arbeitsplätzen in den vier Jahren des Mandats der aktuellen Regierung resultieren wird. Diese Bekanntmachung ist aus dem Jahr 2016, die Regierungsperiode endet mit den Allgemeinwahlen 2018, so dass auch hier weder Maßnahmen noch Prozente stimmen.

Grenzenloser Optimismus

Statt einer Entlastung und Verbesserung der geschäftlichen Umgebung handelt man mit neuen Verbrauchssteuern nicht nur auf Treibstoffe, sondern auch auf Bier und Fruchtsäfte, angeblich um das Gesundheitswesen zu finanzieren (lies: enorme Schulden!). Dabei hat niemand die Reformen oder Steuerentlastungen für Arbeitnehmer/innen  auch nur erwähnt, geschweige denn die in der Agenda vorgesehenen Minderungen oder die Einstellung neuer parafiskalischer Abgaben.

Das Reformjahr endete mit einer Erhöhung der Staatsausgaben um 1%, einer höheren Auslands- und einer noch höheren Inlandsverschuldung sowie einer Ankündigung von neuen Schulden. Und natürlich mit der Verbreitung von Optimismus wegen der neuen Erfolge, was eigentlich auch Sinn macht: Mit denselben einheimischen und ausländischen politischen Leadern das gleiche wie vorher machen, aber bessere Resultate erwarten, bedeutet nichts anderes als grenzenloser Optimismus. Dabei werden Reformen von den einheimischen Leadern seit nunmehr 20 Jahren fingiert und die Jene in den eigenen Reihen, die ehrlich nach Reformen streben, unterdrückt. Auf der anderen Seite setzt die EU ihre eigenen Kriterien von Jahr zu Jahr herab. Seit den Tagen starker Hoher Repräsentanten, als die Messlatte noch sehr hoch lag, um unerwünschte politische Kräfte zu zerschlagen, sinken die Kriterien rapide. Auch auf diesem (europäischen Reform-)Weg sind die Rollen von vorne herein verteilt. Veteranen des Reform-Schauspiels sozusagen, besonders im Kampf gegen Korruption. Wäre die Zahl neuer Fabriken genauso hoch wie die der neuen Affären und verschwundenen Milliarden, wir wären sicherlich die stärkste Wirtschaftsmacht Europas. Laut Index von Transparency International über die Perzeption der Korruption befindet sich BiH auf Platz 76 von insgesamt 168 Ländern. Mit einer Bewertung von 38 auf einer Skala von 0 bis 100 hat BiH sich im Vergleich zum Vorjahr signifikant verschlechtert, als es noch mit 39 Punkten bewertet wurde. Insgesamt ist damit seit 2012, als BiH noch 42 Punkte bekam, ein konstanter Abstieg zu verzeichnen.

Zum Schluss ein Zitat vom Chef der Delegation der Europäischen Union in BiH und dem Sonderbeauftragten der EU in BiH, Lars-Gunnar Wigemark: „So werden wir jeden, der wichtige Entscheidungen behindert, die wichtig sind für Arrangements mit dem MMF, der Weltbank und der EU, ganz klar aufrufen und werden in aller Öffentlichkeit ihre Namen nennen“. Sehr europäisch, und doch so, als wäre er einer von uns. Als würden wir nicht wissen, wer jene sind?!